Aktuelles Forum zur sozial-ökologischen Transformation

Ein Green Deal für Infrastrukturen

Infrastrukturen sind der Unterbau unseres gesellschaftlichen Lebens, sie halten die Welt zusammen. Entscheidungen über Infrastrukturen prägen das Zusammenleben eine lange Zeit über, weshalb Investitionen die Zukunft gestalten. Oliver Grauer kommentiert die Ergebnisse des Infrastrukturatlas der Heinrich-Böll-Stiftung im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen.

Gerade in Krisensituationen müssen Infrastrukturen funktionieren

Gesellschaftliche Anlagen und Gefüge bestehen über Staaten und Regierungen, teils gar über Generationen, fort. In Krisenzeiten wird deutlich, wie stark wir uns in unseren privaten und öffentlichen Lebensbereichen auf eine funktionsfähige Infrastruktur verlassen.
Wie bewähren sich die betroffenen bzw. zuständigen Infrastrukturen im Gesundheitssektor oder die digitalen Kommunikationsstrukturen während der Covid-19-Pandemie? Wir sehen, was es bedeutet, wenn Bildungs- und Freizeiteinrichtungen plötzlich schließen und nicht zugänglich sind. Infrastrukturen sind nicht selbstverständlich. Dies zeigt sich in drastischer Weise im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine: wie sehr Infrastrukturen in das internationale politische Netz verwoben und abhängig von anderen Staaten sein können – der Krieg hält zu einem Umdenken bspw. hinsichtlich der Energieversorgung an. Wie gestalten wir Infrastrukturen im Zuge der Klimakrise (um)?

Schlüsselrolle in sozialer und ökologischer Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft

Die Infrastruktur in Deutschland hat in der Gesamtschau seit der Jahrtausendwende an Wert verloren, was mit der Vernachlässigung über Jahrzehnte zusammenhängt. Jedoch wird ihr gerade in der sozial-ökologischen Transformation eine zentrale Rolle zuteil, wie auch der Infrastrukturatlas der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt.
Infrastrukturen machen uns den Zugang zu alltäglichen Gütern möglich. Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Einrichtungen ist eine Sache der Gerechtigkeit, gerade im Hinblick auf zukünftige Generationen. Die Teilhabechancen für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich daraus ergeben, sind ein fruchtbarer Boden für eine transparente Bürgerbeteiligung.


Einer der zentralen Punkte für das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation ist ein Umbau der Infrastrukturen im Verkehr. Mit dem Ausbau des Schienennetzes wird die klimafreundliche Mobilität und ein beliebtes Transportmittel gefördert. Gemeinsam mit Bussen bietet die Bahn eine ökologisch sinnvolle Möglichkeit und stärkt die soziale Teilhabe für Menschen, die Pkw nicht führen können oder wollen. Großes Potenzial birgt die (Um)Gestaltung von Verkehrswegen zugunsten des Fahrrads – das emissionsfreieste und gesundheitsförderlichste (Nah)Verkehrsmittel. An ausreichend breiten und vor allem sicheren Fortbewegungswegen mangelt es in vielen Städten hierzulande noch.

Ergänzend zu den baulichen Maßnahmen können veränderte Ampelphasen mehr Sicherheit bieten: Ein früheres Grün gibt Radfahrerinnen und Radfahrern einen Vorsprung. - Infrastrukturatlas 2020 der Heinrich-Böll-Stiftung, 19.

European Green Deal

Mit der Zielsetzung, bis 2050 den Nettoausstoß von Treibhausgasen auf Null gebracht zu haben, strebt die Europäische Kommission Klimaneutralität an. Dafür bildet die Förderung von Infrastrukturen ein maßgebliches Fundament. Bei wirtschaftlichen und sozialen Anliegen gilt es die ökologischen Aspekte zu berücksichtigen, um an einem nachhaltigen Europa zu bauen. Für diesen „Bau“ sind die „Transeuropäischen Netze“ (TEN) essenziell. Zum einen soll im Rahmen der TEN-V ein hindernisfreies gesamteuropäisches Netzwerk an Verkehrsinfrastrukturen geschaffen werden und zum anderen sollen die TEN-E im Energiesektor regionale Energiemärkte zueinander bringen, um regenerative Energien zu verbinden. Die Finanzierung der TEN erfolgt über die Konzeption „Connecting Europe Facility“.

Die EU-Kommission hat im September 2020 ihr Klimaziel für das Jahr 2030 erneuert: Im Vergleich zu 1990 sollen die Emissionen um mindestens 55 Prozent sinken. - Infrastrukturatlas 2020 der Heinrich-Böll-Stiftung, 44.

Die Fördergelder des EU-Haushalts unterstreichen: Die angestrebte Klimaneutralität ist ein Gemeinschaftsprojekt.  In diesen multilateralen Anstrengungen ist es jedoch unerlässlich, den Blick auch auf die regionale Entwicklung zu werfen.
Es gilt die EU Netze als Ganzes zu denken, während die transformatorischen Investitionsentscheidungen auch keinen allein europäischen Beschluss darstellen. Die EU-Fördermittel ermöglichen sozial-ökologische Infrastrukturerneuerungenauf nationaler sowie regionaler Ebene. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen nur dafür eingesetzt werden! Hier liegen Chancen und Herausforderungen zugleich, denn den Mitgliedstaaten steht es derzeit offen, die Gelder vielfältig einzusetzen. Dringend notwendig erscheint es, diese Chance zu ergreifen - bisher ist wenig geschehen, was folgende Grafik der Heinrich-Böll-Stiftung anschaulich macht.

Der Energieverbrauch in den EU-Staaten hatte Mitte der 2000er-Jahre einen Höchststand erreicht. Seitdem ist er insgesamt leicht gesunken. - Infrastrukturatlas 2020 der Heinrich-Böll-Stiftung, 45.

Infrastrukturen mit großem Potenzial für die Zukunft?

Auf die Gesamtwirtschaft und Industrie kommen mit der älter werdenden Gesellschaft (Demografie) und der unentbehrlichen Dekarbonisierung zwei große Herausforderungen zu. Drei Beispiele zeigen, wie man damit umgehen kann.


Eine Aufstockung der Kita mit mehr Betreuungsplätzen dürfte die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen; dies würde einem Fachkräftemangel vorbeugen und die demografische Herausforderung abmildern. Erreicht Deutschland eine ähnlich hohe Frauenerwerbsquote wie Schweden (Spitzenreiter in Europa), wäre die Finanzierungsherausforderung des Rentensystems zu einem großen Teil gelöst.


Großflächige Investitionen verlangt des Weiteren das Bahnnetz. Zukunftsfähig könnten auch weitere bzw. neue High-Speed-Verbindungen sein. Während ein massiver Ausbau von Schnellzugverbindungen in Deutschland wie in Frankreich z.B (Marseille-Paris in ~3h) nicht praktikabel ist, so liegt allenfalls Potenzial in einer verbesserten Anbindung und einer genaueren Abstimmung der Fahrpläne. Auch eine Fortentwicklung des Bestehenden kann die Attraktivität der Benutzung erhöhen. Neben den Umwälzungen hierzulande, liegt großes Potenzial für die Bekämpfung des Klimawandels auch in anderen Kontinenten wie Afrika, wo günstige Bahnnetze teils noch gar nicht erschlossen sind; gerade deshalb lohnt sich ein entwicklungspolitischer Blick hierauf. Ist es zumutbar, ein anderes Land dabei zu unterstützen im CO2-Ausstoß runterzugehen? Perspektiven wie diese inkludieren das gemeinsame Bewusstsein für eine Herausforderung, die Alle ganz grundlegend betrifft.


Als Teil der Energiewende dürfte die Wasserstoffinfrastruktur eine Schlüsselrolle spielen. Eine solche – gewonnen aus erneuerbaren Energien („grüner Wasserstoff“) – dürfte der energieintensiven Industrie in Deutschland unter die Arme greifen und stellt ein Felsen in der Brandung der Klimawende dar. Zudem dürfte eine verlässliche staatliche Förderung der Energiewende standortsichernd wirken.


Der Ukraine-Krieg verdeutlicht, wie groß das Standbein Gas als Infrastruktur in Deutschland (und auch in anderen Ländern) ist. Ein nachhaltiges Weiterdenken lohnt sich hier in mehrfacher Weise. Zum einen bleiben Innovationen in der Wasserstoffinfrastruktur & -forschung (bspw. die Umwandlung von Wasserstoff in Gas als eine langfristige Aussicht) weiterhin wichtig und eröffnen eine vielversprechende Zukunft. Zum anderen gilt es sicherzustellen, nicht auf dem wohlig-warmen Kissen der weniger nachhaltigen Atomkraft zu verharren oder gar zurückzukehren, sondern zu neuen Ufern aufzubrechen.

Kommentare (2)

26.10.2022 / 13:39 Uhr

Bundesverband Wasserstoff

Power-to-Gas (P2G)

Es ist richtig, dass Sie die Bedeutung von Wasserstoff unterstreichen! Besonders hoch ist das Zukunftspotential der P2G-Technologien, für den Einstieg empfehle ich Ihnen https://nelhydrogen.com/market/power-to-gas/

26.10.2022 / 13:59 Uhr (> Antwort auf Bundesverband Wasserstoff )

C. Flüglein

Sie können aber auch Biostoffe unter zuhilfenahme von H2 in Methan umwandeln. Hier gehört Deutschland zu den forschungsstärksten Playern: https://www.dbfz.de/pressemediathek/presse/pressemitteilungen/dbfz-startet-bau-einer-pilotanlage-zur-herstellung-von-gruenem-methan