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„Freiheitsenergien“ gleich „Friedensenergien“?

Ganz neu ist der Begriff nicht, aber spätestens seit der Bezeichnung von Erneuerbaren Energien als „Freiheitsenergien“ durch Finanzminister Christian Lindner und der Replik von Luisa Neubauer (Fridays for Future) darauf, Erneuerbare Energien als „Friedensenergien“ zu bezeichnen, sind diese voll im Gespräch. Eine kurze Einordnung

Angesichts des Kriegs in der Ukraine versucht die Europäische Union Energielieferungen aus Russland zu reduzieren, um Sanktionen durchsetzen zu können, die Kriegskasse Russlands nicht zu speisen und sich auch selbst unabhängiger und damit weniger erpressbar zu machen.

 

Doch müssten Einschnitte bei der Gas- und Ölversorgung nach Ansicht der Energieökonomin Claudia Kempfert nicht zwangsweise mehr Kohle und mehr klimaschädlichen CO2-Ausstoß bedeuten. Die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin erinnert daran, dass der Klimaschutz jetzt nicht zurückgestellt werden müsse und sollte. Einige Kohlekraftwerke müssten möglicherweise noch in die Reserve gegeben werden, um Versorgungssicherheit an allen Stellen zu garantieren. Aber dass sie noch automatisch liefen, wäre ebenso nicht mehr sinnvoll wie ein Aufschub des Atomausstiegs.

 

Sie fordert stattdessen die Erneuerbaren Energien viel schneller auszubauen: "Je schneller wir da vorwärtskommen, je schneller wir auch einen Booster starten für einen Ausbau der Windenergie, für Solarpflicht auf den Dächern, für den Umbau hin zu mehr Flexibilität auch in der Kopplung mit Elektromobilität und Wärmepumpen von Gebäuden, desto besser." Für den Klimaschutz sei die Kombination von einem Ausbau der Erneuerbaren Energien mit dem Sparen von Energie zentral. Es sei nötig, Flächen für die Windenergie auszuweisen, Genehmigungsverfahren zu erleichtern und die finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten für die Kommunen zu verbessern.

„Erneuerbare Energien sind Friedensenergie", betont die Professorin an der Leuphana Universität in Lüneburg. "Wir müssen raus aus diesem fossilen Energiekrieg." Die Auseinandersetzungen mit Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs seien nicht die ersten und einzigen dieser Art. Die Energiewende sei "das beste Friedensprojekt, was wir weltweit haben".

 

Für Madeleine Wörner, Referentin für Energiepolitik bei MISEREOR, zeichnet sich Friedenenergie im Angesicht aktueller Krisen durch folgende Kriterien aus:

-         „Friedensenergie ist erneuerbar

-         Friedensenergie baut auf gerechte Rohstoffe

-         Friedensenergie ist dezentral

-         Friedensenergie ist sparsam

-         Friedensenergie ist bezahlbar

-         Friedensenergie für alle!“

 

Diese Kriterien zeigen zum einen friedenspolitische Aspekte im Sinne von globalen Unabhängigkeiten auf, auf die gleich noch näher einzugehen ist, aber zum anderen auch, welche Potenziale ein ganzheitlicher Blick auf Erneuerbare Energien offenbart. Diese reichen von dem zu erwartenden Klimaschutz durch die Erneuerbarkeit bis hin zu einem sozialen Ausgleich durch die Bezahlbarkeit von Energie auch im globalen Süden. „Energie gibt Menschen die Möglichkeit zu Bildung, Nahrung und Gesundheit (insbesondere in Zeiten der Pandemie, wenn wir an zu kühlende Impfstoffe denken).“, stellt Madeleine Wörner fest. Sie bleibt in ihrer Definition von Friedensenergie allerdings nicht beim blinden Vertrauen auf die Lösungen durch Technologie stehen, sondern verbindet damit ganz klar auch gesellschaftliche Aufgaben wie konsequentes Energiesparen und mehr Effizienz.

Freiheit durch Dezentralität?

Für die Frage der Freiheit ist hingegen die Dezentralität zentral. Friedensenergiesysteme seien im Betrieb dezentral organisiert: „Dadurch braucht es keine weiten Stromtrassen oder Wärmenetze, sondern gemeindezentrierte und haushaltsnahe Strukturen. Das steigert ihre Verfügbarkeit und macht sie günstig(er). Die Gewinne verteilen sich auf viele Schultern, statt Kapital und damit verbundene Macht auf wenige Personen und Konzerne zu konzentrieren.“ Das kann sozialen Frieden vor Ort stärken, aber eben auch staatliche Abhängigkeiten lösen und damit die eingangs genannten Finanzierung von rohstoffreichen Kriegsparteien wie Russland und eine gleichzeitige Erpressbarkeit senken.

 

Allerdings gerät diese Feststellung in Konflikt mit der lange vertretenen These des „Friedens durch Handel“, die Patrick Welter in dem Artikel „Wer miteinander handelt, schießt nicht aufeinander“ für die F.A.S in Bezug auf den Krieg in der Ukraine setzt: „Unsere Käufe von russischem Erdgas und russischer Kohle finanzieren den Krieg von Wladimir Putin in der Ukraine. Binnen weniger Kriegswochen ist das eine schnelle Wende in der deutschen Diskussion. Einst galt der Handel mit Russland als Vorbote des Friedens, jetzt soll er Gehilfe des Krieges (gewesen) sein.“ Als Argument sei dies ebenso plausibel wie die politische und moralische Losung, dass der Westen Russlands Kriege nicht finanzieren solle.

 

Dabei sei die These des Friedens durch internationalen Handel (auch die Theorie des „kapitalistischen Friedens“ genannt) keine liberale Mär, sondern durch eine Vielzahl empirischer Studien untermauert. Der Bonner Soziologe Erich Weede resümiert: „Bewaffnete Konflikte zwischen zwei Staaten werden weniger wahrscheinlich, wenn die beteiligten Staaten viel miteinander handeln“. Dabei deuteten manche der Studien auch darauf hin, dass nicht nur der internationale Handel, sondern auch ausländische Investitionen oder die Offenheit der Finanzmärkte das Risiko eines Kriegs verringern.

 

Patrick Welter stellt fest, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine diese Theorie nicht widerlege, da trotz der geographischen Nähe die Ukraine und Russland wirtschaftlich eher untergeordnete Verflechtungen haben. An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Ausgangslage durch direkte Gaspipelines von Russland über Deutschland nach Europa nur verschärft würde.

„Warum verringern Handel und freiheitliches Wirtschaften das Risiko von Kriegen?“

Die Frage, warum Handel und freiheitliches Wirtschaften das Risiko von Kriegen verringern, bleibt allerdings noch zu beantworten. Ein direkter Grund sei, dass beide Kriegsparteien wirtschaftlich verlieren, wenn sie den Handel wegen eines Krieges beendeten. Je mehr Menschen auf beiden Seiten in den bilateralen Handel eingebunden seien, desto größer dürfte der Unwille in den Völkern gegen einen Krieg sein.

 

Dazu gibt es laut Weede noch einen indirekten Effekt: Je offener und freiheitlicher am Markt gewirtschaftet werden könne, desto größer sei in der Regel der Wohlstand. Desto mehr erwarteten die Menschen von der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung: „Mehr Wohlstand geht oft mit Widerstand gegen autokratische Systeme und einer Entwicklung hin zur Demokratie einher, weil die Menschen ihren Wohlstand vor der Willkür diktatorischer Herrscher schützen wollen.“ Freiheitliche Marktwirtschaft und Demokratie könnten so zusammenwirken, um Kriegsgefahren zu verringern. Ein Krieg zwischen zwei Demokratien ist nach aller historischen Erfahrung höchst unwahrscheinlich.

 

Laut Welter ist der schnelle Abbruch vieler wirtschaftlicher Beziehungen mit Russland nicht nur eine Folge des Krieges, sondern auch eine Folge des Zeitgeists, wonach der Westen wirtschaftlich aggressiver gegen autokratische Systeme vorgehen und Gas, Öl und Kohle aus dem Ausland, dem grünen Zeitgeist folgend, dem heimischen Ökostrom weichen sollen.

 

„Das Streben nach Unabhängigkeit aber ist ein Angriff auf die Globalisierung und auf den kapitalistischen Frieden.“ Wohlstand durch Freihandel, aber auch Frieden durch Freihandel erforderten die wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, die in Marktwirtschaften ganz normal sei. „Je mehr der Westen dagegen Souveränität als wirtschaftliche Abkoppelung versteht, desto weniger werden Handelsbeziehungen künftig friedensstiftend wirken können.“ Diese Folgen gelte es heute schon zu beachten.

„Freiheitsenergien“ gleich „Friedensenergien“?

In der Debatte darum, Erneuerbare Energien als „Freiheits- oder Friedensenergien“ zu bezeichnen, wird folglich deutlich, dass beide Begriffe sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil ergänzen. Eine größere Freiheit durch eine geringere Abhängigkeit von Energielieferungen und damit weniger Erpressbarkeit kann wohl uneingeschränkter angenommen werden, als eine damit verbundene Friedensstiftung. Wie Erich Weede dargestellt hat, können freiheitliche Marktwirtschaft und Demokratien so zusammenwirken, dass Kriegsgefahren verringert werden – dieses Potenzial würde mit einer Isolation verloren gehen.

 

Allerdings kann auch bei einer vollständigen Energieversorgung durch Erneuerbare Energien nicht von einer Autarkie ausgegangen werden. So wie Russland schon jetzt Probleme durch Lieferstopps für dringend für die Öl- und Gasförderung benötigte Teile bekommt, werden auch technikintensive Erneuerbare Energien international hergestellte Teile benötigen. Zudem können Erneuerbare Energien effizienter genutzt werden, wenn der durch sie erzeugte Strom flexibler verteilt werden kann, wofür ein enges, auch internationales, Stromnetz hilfreich ist.

 

Vielleicht liegt hierin in der Zukunft eine mögliche Verknüpfung zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Die vielfältigen Aspekte einer „Friedensenergie“ erschöpfen sich eben nicht in den geopolitischen Abhängigkeitsüberlegungen, sondern zeigen Potentiale auf, die es zu bearbeiten lohnt, wie auch die Gewinne aus und Verantwortung für die Energiegewinnung auf breitere Schultern zu verteilen.

Kommentare (10)

07.05.2022 / 17:27 Uhr

Wörner, Schwabmünchen

Vielen Dank für diese hilfreiche Einordung! Da ich ihn gerne für den Schulunterricht (11. Klasse) verwenden würde, sagen Sie mir bitte, ob und unter welchen Vorausstzungen ich ihn verwenden darf. Danke!

08.05.2022 / 21:38 Uhr (> Antwort auf Wörner, Schwabmünchen)

Benedikt Ronge

Ich freue mich über Ihre positive Rückmeldung! Unsere Artikel können natürlich gerne genutzt und geteilt werden - für weitere Diskussionen stehen wir gerne zur Verfügung. Darum würden wir uns selbstverständlich sehr freuen, wenn auch Ihre Schüler:innen hier in den Kommentaren mitdiskutieren!

16.05.2022 / 19:47 Uhr (> Antwort auf Benedikt Ronge)

Larissa

Könnten Sie mir bitte genauer erkklären, wie Erich Weede gezeigt hat, dass Demokratie und Marktwirtschaft Kriegsgefahren verhindern können. Ich brauche das für ein Referat nächste Woche und wäre für die Hilfe dankbar! Larissa Köhler

18.05.2022 / 14:33 Uhr (> Antwort auf Larissa )

Benedikt Ronge

Liebe Frau Köhler, wie im Text geschildert, leitet Erich Weede, als Soziologe und Politikwissenschaftler, die These des Friedens durch internationalen Handel aus den Ergebnissen empirischer Forschung ab. Gegen diese Feststellung gibt es ein häufig genanntes Gegenbeispiel, den Ersten Weltkrieg. Allerdings stellt Patrick Welter fest, dass dieser der These nicht widerspricht. Mit dem ersten Globalisierungsschub waren die Länder generell wirtschaftlich eng miteinander verflochten, allerdings hatte der deutsch-französische Handel für beide Staaten eher wenig Bedeutung. Anders war das zwischen den Verbündeten Österreich-Ungarn und Deutschland, die intensiv miteinander handelten, aber erheblich weniger mit Frankreich, Russland oder dem Vereinigten Königreich. Die Handelsbeziehungen nun zwischen der Ukraine und Russland sind, wie beschrieben, für beide Staaten ähnlich unbedeutend. Die Informationen zu Erich Weedes Ergebnissen in diesem Beitrag stammen aus Erich Weede (2016/2021): The Expansion of Economic Freedom and the Capitalist Peace. Oxford University Press. (Zumindest eine kurze Zusammenfassung findet sich hier: https://oxfordre.com/view/10.1093/acrefore/9780190228637.001.0001/acrefore-9780190228637-e-276) Viel Erfolg bei dem Referat!

20.05.2022 / 10:09 Uhr (> Antwort auf Benedikt Ronge)

Larissa

Vielen Dank, Herr Ronge! Das ist noch rechtzeitig für meine Präsentation, supi dankeschönchen!

17.05.2022 / 12:59 Uhr

Patricia

Luisa hat Recht! Und hoffentlich kapieren das bald alle. In der Ukraine wird unsere Freheit bedroht und wir heizen weiterhin mit Kriegsverbrechergas!

22.05.2022 / 16:51 Uhr (> Antwort auf Patricia )

Greenpeace Unterstützer gesucht

Hier gehts zur Unterschriftenaktion "Kein Geld für Putins Krieg": https://act.greenpeace.de/kein-geld-fuer-putins-krieg

23.05.2022 / 16:59 Uhr (> Antwort auf Greenpeace Unterstützer gesucht)

Ralf

Danke, hab ich gleich geteilt.

25.05.2022 / 17:11 Uhr (> Antwort auf Ralf)

Anonym

Bitte weiter fleissig teilen, wir haben zwei Drittel geschafft aber es braucht neuen Schwung!

18.05.2022 / 12:26 Uhr

S.E.

Ihre Gedanken zu Frieden und Freiheit passen meines Erachtens gut zu Ihrem früheren Beitrag zur Lebensmittelknappheit, die ja wohl bewusst als Druckmittel eingesetzt wird. Und vermutlich ist es auch hier so, dass eine Stärkung der subsidären Eigenverantwortung zur Lösung beitragen kann.