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Wie der Krieg in der Ukraine die Lebensmittelknappheit in Nordafrika verschärft – und was zu tun ist
Während ein Ende des Kriegs in der Ukraine nicht in Sicht ist und die deutsche Bundespolitik sich um die Energieversorgung sorgt, droht sich die Lebensmittelknappheit für Millionen Menschen besonders in Nordafrika drastisch zu verschärfen. Zu dieser Sorge kommen MISEREOR und Greenpeace in einem gemeinsamen Positionspapier:
„Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die schreckliche Angst um ihr Leben und die Zukunft ihres Landes ausstehen. Gleichzeitig machen wir uns große Sorgen um die Bedeutung des Krieges für die internationalen Ernährungssysteme und Millionen Menschen, deren Recht auf Nahrung verletzt oder gefährdet wird.“
So seien die Ukraine in den vergangenen Jahren ein zentraler Produzent für Weizen, Mais und Ölsaaten gewesen und habe zahlreiche bevölkerungsreiche Länder in Nordafrika und im Nahen Osten mit Lebensmitteln versorgt, doch auch ausbleibende Exporte von Lebensmitteln, Düngern und Energieträgern aus Russland und Belarus drohten die Situation zu verschärfen.
„Preissprünge bei Lebensmitteln sind lebensbedrohlich für Millionen Menschen, die in Armut leben. Im Schatten der COVID-19 Pandemie haben Armut und steigende Preise schon vor der Invasion Russlands zu einer Welle des Hungers geführt. Allein von 2019 auf 2020 ist die Zahl der Hungernden um 118 Millionen auf bis zu 811 Millionen gestiegen. Der Krieg in der Ukraine erhöht nun Nahrungs- und Energiepreise nochmals und schneidet so viele weitere Familien vom Zugang zum Nötigsten ab.“
Hier sei Deutschland und die internationale Gemeinschaft gefragt für das Menschenrecht auf Nahrung einzustehen und Maßnahmen zu ergreifen, die die Preise von Grundnahrungsmitteln in Ländern des Südens dämpfen und die Versorgung der dortigen Bevölkerung gewährleisteten.

Die akuten Kernforderungen des Positionspapiers von MISEREOR und Greenpeace im Überblick
Der Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit MISEREOR, Pirmin Spiegel, stellt zudem fest, dass die Ernährungslage in zahlreichen Ländern Afrikas schon vor Kriegsausbruch angespannt war und nun große Import-Abhängigkeit auf bestehende Krisen wie Dürren, Überschwemmungen, Auswirkungen des Klimawandels und kriegerische Auseinandersetzungen träfen: „Wir entfernen uns vom zweiten Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, Hunger zu beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung zu erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern.“

Die Globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen - unter SDG 2 "Keine Hungersnot"
Ähnlich äußert sich auch der Agrarwissenschaftler und langjährige Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Felix Prinz zu Löwenstein, in einem Beitrag für weltkirche.de. Das Wintergetreide in der Ukraine und Russland müsste jetzt gedüngt und behandelt werden, die Sommersaat in diesen Tagen auf die Felder gebracht werden – kriegsbedingt werde dies nur mit großen Einschränkungen stattfinden.
Auf den Appell von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Entwicklungsministerin Svenja Schulze, weniger Fleisch zu essen, da 60 Prozent der europäischen Getreideproduktion an Tiere verfüttert werden, entgegnet zu Löwenstein: „Selbst wenn alle weniger Fleisch essen, würde zunächst einmal kein Tier weniger im Stall stehen“. Er würde vielmehr die Bestände von Rindern, Schweinen und Geflügel verringern: „Man beginnt, dem Ferkelerzeugern den entgangenen Gewinn für Sauen, die er nicht mehr decken lässt, zu erstatten […] Nach 16 Wochen gibt es dann entsprechend weniger Ferkel. Ab diesem Moment zahlt man Schweinemästern Geld dafür, dass sie ihrer Ställe zu Teilen leer stehen lassen.“ Der Staat müsse diese Maßnahme verordnen und zeitlich begrenzen, damit Landwirte beispielsweise aus Südamerika keinen Anreiz hätten ihrerseits die Fleischproduktion hochzufahren, während der Markt genau wisse, ab wann die Getreidenachfrage sinke und so auch die Preise sinken. Die Preise für Fleisch hingegen würden deutlich zulegen, wohl auch deswegen sieht das Bundeslandwirtschaftsministerium solche und ähnliche Vorstöße für „wenig zielführend“. Anders als Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe und MISEREOR.
Man setze sich „mit Nachdruck dafür ein, dem Hunger der Menschen Vorrang vor der Herstellung tierischer Produkte und der Produktion von Agroenergie zu geben“, äußert sich MISEREOR-Chef Pirmin Spiegel. Das scheint dringend nötig, so fürchtet Felix Prinz zu Löwenstein, dass die oben genannte Zahl von 811 Millionen Hungernden schon bald die Marke von einer Milliarde überspringt. Das Positionspapier von MISEREOR und Greenpeace schließt:. „Es gilt nach wie vor – Hunger ist vor allem ein Problem, welches durch Armut verursacht wird. Die Reduzierungen der übermäßigen Fleischerzeugung und Agrarsprit müssen Teil einer internationalen Antwort sein, die wir letztendlich nur gemeinsam mit den Ländern des Globalen Südens finden können.“
Quellen:
Vorrang für menschliche Ernährung - Stellungnahme von Pirmin Spiegel (Stand 4.4.2022)
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