Öko-soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Krise - Debatten zur Umwelt- und Sozialethik in der Katholischen Kirche in Bayern

Jetzt ist die Zeit

Als im Januar 2020 erste Nachrichten einer neuen Viruserkrankung in China die Runde machten, da ahnten wohl die allerwenigsten, welch tiefgreifende Veränderungen in unser aller Leben und Alltag dieses Virus mit sich bringen würde. Ohne zu übertreiben kann man sagen: Corona hat die Welt verändert. Sie ist zusammengerückt, in vielen Bereichen durften wir eine große Solidarität erfahren. Durch Corona haben wir leibhaftig erlebt, dass alles miteinander verbunden ist, dass Achtsamkeit und Rücksichtnahme wichtig sind – und dass es auch mal langsamer und umsichtiger gehen kann, nicht nur immer „höher, schneller, weiter“. Jetzt ist es an uns, daraus zu lernen, daran festzuhalten und diese Veränderungen nachhaltig werden zu lassen. In jeder Krise liegt auch eine Chance. Jetzt gilt es, das Change-Moment zu nutzen und den Weg frei zu machen für eine echte globale öko-soziale Transformation. Auf teils hässliche Art und Weise hat uns die Corona-Pandemie Schieflagen in Wirtschaft und Gesellschaft vor Augen geführt, die zweifelsfrei schon lange vor der Pandemie existiert haben, die sich durch die neuartige Situation jedoch weiter verschärft haben.

 

Sie hat uns Schattenseiten gezeigt: die Abhängigkeiten einer global vernetzten Wirtschaftswelt zum Beispiel oder wie ungleich Bildungschancen tatsächlich verteilt sind, wenn die Teilnahme am Homeschooling plötzlich davon abhing, ob es in der Familie dafür ausreichend Laptops oder Tablets gab. Aber auch, wie weit die Welt von der in Laudato si‘ geforderten „universalen Solidariät“ (LS 14) noch entfernt ist.

 

In alledem hat die Krise uns aber auch Möglichkeiten und Wege in die Zukunft aufgezeigt. Eine der großen Chancen liegt in der Digitalisierung – das gilt auch für die Kirche. Während der Coronakrise sind vielerorts kreative, digitale Angebote gewachsen, die sicherlich auch für die Zeit nach der Krise wichtig und hilfreich sein können. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Mensch ein Gegenüber braucht. Ergo: Digitalität kann helfen, sie kann überbrücken, sie kann aber eine echte Kommunikation und Mensch-zu-Mensch-Angebote auf Dauer nicht ersetzen.

 

Eine Wirtschaft der Zukunft muss sich mehr an sozialen Aspekten orientieren, so dass alle Menschen im Sinn eines buen vivir gut miteinander leben können. Dazu gehören auch eine Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie ein Lieferkettengesetz, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern faire Löhne und ein gutes Auskommen ermöglicht.

 

In den Monaten vor der Pandemie waren die Debatten um Klimaschutz und Klimagerechtigkeit intensiv. Dann hat die Corona-Pandemie wochenlang alles überschattet. Es ist wichtig, nicht wieder hinter das bereits Erreichte zurückzufallen. Die Themen müssen zurück auf’s politische und gesellschaftliche Parkett, dort wo sie momentan verschwunden sind – gerade auch, weil sie im Kontext einer weltumspannenden Pandemie eine neue Bedeutung erfahren. Denn die Pandemie hat ihre Wurzeln auch im immer stärkeren Zurückdrängen der Lebensräume von Menschen und Tieren. Wir müssen lernen, unserer Mitwelt den Lebensraum zu lassen, den sie braucht.

Alles ist miteinander verbunden

Wie selten zuvor hat die Corona-Pandemie erfahrbar werden lassen, dass die ganze Welt miteinander verbunden ist: wir Menschen sind trotz aller Technik und Verwaltung immer noch Lebewesen. Wir sind wunderbare Organismen. Wir sind trotz aller technischen Errungenschaften endlich und nur in Verbindung mit unserer Mitwelt überlebensfähig. In diesem System hat alles seinen Platz und Wert – auch Urwälder und Brachzeiten. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zeigen uns die Kraft der Solidarität und der Unterbrechung. Sie zeigen ebenso schonungslos die sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten sowie Ungleichheiten und wo noch Entwicklungspotenziale für eine gerechtere Weltgestaltung liegen. Sie zeigen uns, dass weniger Mobilität, Konsum oder Terminstress Raum für anderes Denken geben und an der inneren Haltung arbeiten lassen, dass wir nicht alles separat und linear sehen, sondern verbunden und vielfältig und einzigartig schön. Fünf Ideen für Unterbrechungen laden ein, sich mit Praxistipps aus Laudato si‘ und der Amazoniensynode zu ganzheitlicherem Denken und Leben inspirieren zu lassen.