SWS Studie

2.3 Was der Wandel für alle ermöglichen soll

Um die gewünschte orientierende und motivierende Kraft zu erreichen, muss die beschriebene Zielperspektive der Transformation möglichst konkret und anschaulich werden. Sie muss gleichzeitig aber so offen bleiben, dass sie in jeweils unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten inhaltlich gefüllt werden kann. Daher wird es die Konkretionen nur in einer gewissen Vielfalt und Verschiedenheit geben: Was bedeutet es, im jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext gut leben zu können? Sich in möglichst partizipative Verständigungsprozesse zu dieser Frage einbringen und damit die Zielperspektive mitgestalten zu können35, ist einer der Faktoren, die Transformation befördern. Zudem ist es ein Gebot der Verfahrensgerechtigkeit, Transformationsziele nicht vorgegeben zu bekommen, sondern sich bereits an der Zieldefinition beteiligen zu können.


Im Rahmen dieser Studie lassen sich daher lediglich einige Eckpunkte der Zielperspektive benennen, die engen Bezug zu den 17 Zielen nachhaltiger Entwicklung (SDGs) haben und jeweils offen sind für Konkretisierungen in den jeweiligen Kontexten:


•    Alle Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und ein möglichst gesundes Leben zu führen, dessen Entfaltung nicht durch vermeidbares körperliches oder seelisches Leid verhindert wird. Um gut leben zu können, brauchen Menschen u.a. angemessene Nahrung, sauberes Wasser, saubere Luft, angemessene Unterkunft, psychisch-physische Unversehrtheit, ausreichende Gesundheitsversorgung, Mobilität und Zugang zu Bildung. Deshalb sind z.B. die entsprechenden Angebote im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen so zu gestalten, dass sie für alle Menschen zugänglich sind und man muss verhindern, dass Menschen ohne ausreichende Kaufkraft ausgeschlossen bleiben bzw. werden. Gleichzeitig müssen diese fundamentalen Bedürfnisse so gesichert werden, dass keine vermeidbaren sozial-ökologischen Folgeprobleme entstehen.


•    Alle Menschen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft, brauchen echte Handlungs- und Beteiligungschancen, um die genannten Grundbedürfnisse möglichst aus eigener Kraft und entsprechend ihrer jeweiligen Präferenzen befriedigen zu können. Sie müssen ihre Fähigkeiten, Interessen und Neigungen in Beziehungen entfalten und auf diese Weise aktiv am gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Leben teilnehmen können. Dies ist auch eine der Vorrausetzungen dafür, dass sie Wertschätzung durch andere und Selbstachtung erfahren sowie Sinn stiften und erleben können. Um gut leben zu können, brauchen Menschen also menschenwürdige, fair gestaltete und sozial abgesicherte Arbeit, Zugang zu guter Bildung und gezielter Befähigung, die Möglichkeit, ohne Diskriminierung an wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Prozessen teilzuhaben sowie die Möglichkeit, vielfältige Beziehungen und Netzwerke zu pflegen.


•    Allen Menschen muss es im Sinne politischer Freiheit möglich sein, sich gleichberechtigt an der Gestaltung von Strukturen und Rahmenbedingungen, denen sie unterworfen sind, zu beteiligen. Dies erfordert v. a. eine lebendige Kultur demokratischer Meinungsbildung, die insbesondere auch Stimmen aktiv einbezieht, die davon bedroht sind, nicht gehört zu werden, sowie eine gute Regierungsführung auf allen Ebenen. Beteiligungsgerechtigkeit in diesem Sinne ist nicht nur ein Ziel der Transformation, sondern auch eine Anforderung an diese selbst. Nicht nur das Ergebnis muss gerecht sein, sondern – wie schon erwähnt – auch der dorthin führende Prozess.


•    Allen Menschen muss es möglich sein, freilich auch zugemutet werden, ihre Freiheit auf eine Weise zu leben, die die Freiheit und den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben anderer nicht verletzt. Sie müssen daher darin unterstützt werden, einen „ressourcenleichten“, für die anderen und für die Umwelt möglichst wenig schädlichen und nachhaltigen Konsum- und Lebensstil zu entwickeln. Dieser nachhaltige Lebensstil ist zwar für viele mit einem gewissen quantitativen „Weniger“ verbunden, kann jedoch ihre Lebensqualität bewahren, vielleicht sogar steigern. In diesem Sinne setzt Papst Franziskus auf den Vorrang der Qualität vor der bloßen Quantität und entfaltet in Laudato si’ ein neues Leitbild für Wohlstand und Fortschritt. Dieses ist anschlussfähig an antike Konzeptionen eines guten Lebens, an alte und in vielen Kulturen bekannte Einsichten in die Bedeutung des rechten Maßes für die Zufriedenheit, aber auch an moderne Erkenntnisse empirischer Glücksforschung: Die für die sozial-ökologische Transformation notwendige

„Genügsamkeit ist befreiend. Sie bedeutet nicht weniger Leben, sie bedeutet nicht geringere Intensität, sondern ganz das Gegenteil. In Wirklichkeit kosten diejenigen jeden einzelnen Moment mehr aus und erleben ihn besser, die aufhören, auf der ständigen Suche nach dem, was sie nicht haben, hier und da und dort etwas aufzupicken (…). Man kann wenig benötigen und erfüllt leben, wenn man fähig ist, (…) in den geschwisterlichen Begegnungen, im Dienen, in der Entfaltung der eigenen Charismen, in Musik und Kunst, im Kontakt mit der Natur und im Gebet Erfüllung zu finden. Das Glück erfordert, dass wir verstehen, einige Bedürfnisse, die uns betäuben, einzuschränken, und so ansprechbar bleiben für die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet.“ (LS 223)

Freilich führt der bloße Appell, Konsummuster und Lebensstile in diesem Sinne neu auszurichten, kaum zu einem handlungsleitenden Bewusstseinswandel. Dieser wird nicht zuletzt durch Vorbilder befördert, die auf glaubhafte Weise zufriedener und erfüllter leben, dadurch Orientierung bieten und andere Menschen anregen und ermutigen. Notwendig ist aber auch eine Bildung, die eigene, positive Erfahrungen mit einem „anderen Leben“ und deren Reflexion ermöglicht sowie Anregungen bietet, eigene Lebensmöglichkeiten jenseits von materieller Wohlstands- und Statussteigerung zu erkunden. Erforderlich ist ebenso eine Politik, die Räume und Chancen für alle eröffnet, diese Lebensmöglichkeiten zu realisieren. Schließlich braucht es eine politisch gerahmte Wirtschaftsweise, die das geforderte „genügsame“ (gleichwohl gute und erfüllte!) Leben „einfacher macht“36. Dazu müssen Kosten internalisiert werden, um verursachergerechte Preise und damit auch Anreize zu schaffen, Funktionen zu nutzen, statt selbst immer mehr Güter besitzen zu müssen. 

Kommentare (1)

25.02.2022 / 20:09 Uhr

Endres

Wirtschaftsordnung

Die Ziele klingen wunderbar. Wer soll sie durchsetzen? Wir haben in Deutschland nur in 50% der Betriebe Betriebsräte, bei vielen Veränderungsprozessen sind sie die Treiber, da sie die Arbeitnehmer/innen vertreten, die ihre Arbeitsplätze erhalten wollen und natürlich auch das Geld für den Lebensunterhalt brauchen. Betriebe mit Betriebsräten haben bessere Arbeitsbedingungen und achten mehr auf Ökologie und Arbeitsschutz etc..