SWS Studie
1.2 Konsum- und Mobilitätswende

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Auch die westlichen (und zunehmend weltweiten) Konsummuster (und die damit korrespondierenden Produktionsmuster) bedürfen einer Wende, wenn eine sozial-ökologische Transformation gelingen soll.
Die Herstellung von immer mehr Gütern, die von immer mehr Menschen erworben und individuell besessen werden sollen, ist veränderungsbedürftig, wenn Produktion, Verteilung und Entsorgung der steigenden Gütermenge ökologische und soziale Probleme verursachen. Dazu zählen v. a. die Verschwendung knapper Ressourcen, umweltschädliche Produktionsweisen sowie unfaire Arbeits- und Handelsbedingungen. Darüber hinaus gilt es jedoch auch, die Folgen für den konsumierenden Menschen selbst kritisch zu reflektieren: Die Möglichkeit, persönliche Präferenzen durch entsprechenden Güterkonsum zu befriedigen, ist für die individuelle Freiheit und die selbstbestimmte Lebensgestaltung wichtig und positiv. Doch die Wahl- und Konsumfreiheit wird dann problematisch, wenn der Gütererwerb (gefördert durch Werbung und Anreize) dazu führt, dass Menschen sich primär über den Konsum definieren und nach stetigem Wohlstands- und Statuszuwachs streben. Diese verengte Sichtweise, oft verstärkt durch tradierte soziale Normen16, geht nicht selten zulasten anderer Lebensziele wie Gesundheit und langfristiger Zufriedenheit.

Abbildung 4: Tatsächliche Nutzungszeit durchschnittlicher Pkws und Straßen in Europa (Eigene Darstellung in Anlehnung an Circular Economy Report 2015)17
Als Beispiel für das komplexe Handlungsfeld der Konsum- und Mobilitätswende sei hier der für viele Volkswirtschaften und Gesellschaften so wichtige motorisierte Individualverkehr herausgegriffen. Bedenkt man z.B., dass Pkw in Europa im Durchschnitt zu 92 % der Zeit ungenutzt bleiben, stehen Ressourceneinsatz und Umweltbelastung durch die Produktion in einem krassen Missverhältnis zu dem dadurch erzeugten Mobilitätsnutzen (vgl. Abb. 4). Wenn das Auto in einer Weise produziert würde, die eine weitgehende Wiederverwertung aller eingesetzten Ressourcen ermöglicht (Kreislaufwirtschaft) oder wenn es mit geeigneten Dienstleistungsangeboten und Sharing-Modellen von möglichst vielen Personen genutzt würde („Nutzen statt Besitzen“18), würde sich das Verhältnis von Umweltbelastung und Mobilitätsnutzen bereits deutlich verbessern. Noch nachhaltiger wäre es, wenn unnötiger Verkehr vermieden und der Mobilitätsnutzen durch andere Verkehrsträger erzeugt würde. Das würde auch den nutzungsbedingten Energieverbrauch, umweltschädliche Emissionen, Gefährdung der Gesundheit19 (v.a. durch Bewegungsmangel und unfallbedingte Personenschäden) und die Belegung öffentlichen Raums durch fahrende wie parkende Autos deutlich reduzieren.
Dies verdeutlicht, dass eine echte Mobilitätswende deutlich über alternative Antriebstechnologien hinausgehen muss. Im Sinne der Suffizienz ist zu fragen, ob Wohnen, Arbeit, Urlaub oder Freizeit wirklich mit stetig wachsenden Mobilitätsanforderungen verbunden sein müssen, was die Diskussionen um die Zukunft der Mobilität – zumindest bis vor Ausbruch der Corona-Pandemie – oft nahegelegt haben. Um die angesprochenen sozialen und ökologischen Probleme zu reduzieren, ist zudem eine durch entsprechende Angebote und Anreize gestützte Konsum- und Mobilitätskultur erforderlich, die stärker auf „Nutzen statt Besitzen“ setzt. Die Objekte, die weiterhin besessen werden, müssen zudem möglichst lange genutzt und danach einer möglichst umfassenden Wiederverwertung der eingesetzten Ressourcen zugeführt werden.
„Nutzen statt Besitzen“?
Allerdings zeigt das Beispiel der Reduktion des Fahrzeugbesitzes auch, wie schwer der notwendige Wandel in Gang kommt. Zwar gibt es positive Ansätze wie diverse Sharing-Modelle oder verbesserte Wiederverwertungszyklen. Versuche, den städtischen Autoverkehr durch die Einführung von City-Maut und höheren Parkgebühren unattraktiver zu machen, erweisen sich dort als erfolgreich, wo gleichzeitig der ÖPNV und andere Verkehrsträger samt deren Infrastruktur attraktiver gestaltet werden konnten. Gleichwohl ist eine breite Abkehr vom motorisierten Individualverkehr nicht zu erkennen. Die dem Wandel entgegenwirkenden Beharrungskräfte sind vielfältig.
Nicht nur in Deutschland hat die Automobilindustrie eine zentrale wirtschaftliche Bedeutung, sodass der Umbau hin zu einer nachhaltigeren Mobilität zu ökonomischen und sozialen Verwerfungen führen kann. Tatsächlich führt der hohe Stellenwert der Automobilindustrie oft dazu, dass die Politik vor allem die etablierten Technologien und entsprechende Arbeitsplätze zu erhalten versucht und der technische Wandel dann verspätet, aber umso heftiger erfolgt. Die Tatsache, dass 2017 in Deutschland fast 10 % der Bruttowertschöpfung auf den Automobilsektor zurückzuführen waren und fast die Hälfte aller Patentanmeldungen von juristischen Personen aus der Autoindustrie kamen20, zeigt, wie wichtig es ist, den Wandel zu veränderten Mobilitätskonzepten und neuen Antriebstechniken proaktiv zu gestalten. Der notwendige Wandel erfordert eine komplexe politische und unternehmerische Steuerung. Dabei sollten die Chancen digitaler Intelligenz nicht nur für die Herstellung hochklassiger Fahrzeuge und die intelligentere Steuerung des Individualverkehrs, sondern besonders auch für die Verbesserung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und ein flächendeckendes attraktives Tarifsystem eingesetzt werden.21
Zugleich zeigt gerade die Automobilbranche, dass Güter in vielen Fällen nicht nur wegen ihres Nutzwerts erworben werden. Güter dieser Art sprechen für viele Menschen wichtige Status- und Distinktionsbedürfnisse an – ein Effekt, den Werbung und Marketing gezielt verstärken.22 Hinzu kommt, dass der Besitz eines Autos in vielen Gesellschaften schlicht als „selbstverständlich“ gilt, so dass andere Optionen kaum ernsthaft erwogen werden.23 Hier zeigt sich exemplarisch die große Bedeutung von Handlungsroutinen und sozial stabilisierten Gewohnheiten. Wirkmächtige Routinen dieser Art, die für den gesamten Konsumbereich relevant sind, können nicht durch moralisierende Appelle, sondern nur durch eine doppelte Strategie durchbrochen werden: Es bedarf sowohl eines politisch geförderten Wandels auf der Angebotsseite als auch eines (von Politik und Zivilgesellschaft ebenso zu fördernden) Bewusstseins- und Mentalitätswandels auf Seiten der Konsument/innen.
Auch mit Blick auf das Beispiel der Mobilität gilt also: Es gibt etliche wirkmächtige Faktoren, die eine Wende erschweren – und doch ist sie möglich. So wurde der Innenstadtverkehr in Metropolen wie London und Stockholm durch eine strecken- und zeitabhängige City-Maut deutlich reduziert und der öffentliche Nahverkehr verbessert. Eine weltweite Initiative großer Metropolen ruft ebenso dazu auf, die finanziellen Hilfen zur Überwindung der Corona-Krise verstärkt dafür zu nutzen, die städtische Infrastruktur zukunfts- und menschenfreundlicher zu gestalten. So können die das gegenwärtige Stadtbild dominierenden Pkw-Stellflächen verstärkt in Fuß- und Fahrradwege, Schankflächen oder urbane Freiräume verwandelt werden, wenn es gelänge, den öffentlichen Nahverkehr sicherer, leistungsfähiger und damit attraktiver zu machen.24 Um eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume zu fördern, sollte man durch eine vorausschauende Strukturpolitik und Landesplanung einer weiteren Zersiedelung entgegenwirken. Zudem besteht im ländlichen Raum, wo attraktive Mobilitätsalternativen schwieriger zu realisieren sind, noch großes Potential zur Förderung klimafreundlicherer Antriebstechnologien und kreativer Nachbarschaftshilfe, aber auch schnellerer Internetanbindungen, um überflüssigen Verkehr zu vermeiden (Stichwort: „Datenautobahn statt Pendlerstau“).
16 Zur Bedeutung tradierter sozialer Normen vgl. Nyborg, K. et al.: Social norms as solutions. In: Science 07 Oct 2016: Vol. 354, Issue 6308, pp. 42-43, DOI: 10.1126/science.aaf8317.
17 Ellen McArthur Foundation (2015): Growth within: a circular economy vision for a competitive Europe.
18 Einen guten Einstieg in die Thematik bietet Leisman et al. (2012): Nutzen statt besitzen. Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Ökologie Bd. 27.
19 Public health benefits of strategies to reduce greenhouse-gas emissions: urban land transport.
20 Institut der Deutschen Wirtschaft: IW-Report 43/2020, hier verfügbar.
21 Vgl. Gemeinsames Eckpunktepapier „Künstliche Intelligenz und Mobilität“ des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe, hier verfügbar.
22 Car use: lust and must. Instrumental, symbolic and affective motives for car use.
23 Happy or liberal? Making sense of behavior in transport policy design.
24 Vgl. C40 Cities (2020): Global Majors Covid19 Recovery Taskforce.
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